Jahreszeiten

Jede Jahreszeit löst andere Gefühle aus

und sie werden anders erlebt und ausgelebt.

Mag sein, sie könnten auch an jedem anderen

Jahreszeiten-Tag entstehen,

doch es wären nicht die gleichen geworden

als genau an dem bestimmten Augenblick

zu diesem so bestimmten Tag

in dieser ganz bestimmten Zeit des Jahres...

 


Frühling - An einem Sonnentag im Mai

Mein Weg geht an den Steinen vorbei.
Nein, kein steiniger Weg, eher ein Weg der von Beständigkeit zeugt.
Beständigkeit - welch altmodisches Wort.
Wer will sie, in dieser Zeit des unaufhörlichen Wandels?

 

Ich sehe mir die Wege an - dunkel, weich, der Boden federnd.
Dort steht ein Baumrad. Eigenartiges Ding. Kimme und Korn für Bäume, denke ich lächelnd.
Zum orientieren?
Ob Blutbuche, Rosskastanie, Eberesche, Winterlinde, das Baumrad zeigt den Weg zu Ihnen durch das lichte halbhohe Gestrüpp.
Ich lege mein Kinn auf das Rad, drehe es mit dem Pfeil auf den Namen der Blutbuche und mit dem Blick über die Kimme erblicke ich einen großen wunderschönen Baum, den ich nur beiläufig mit dem Augen gestreift hätte, wenn ich meine Blicke in diese Ecke gelenkt hätte.
Hätte, hätte, hätte, hätte.

 

Ein Leben voller „Hätte".
Warum gab es damals kein Lebensrad das mir zeigte, wohin ich meine Blicke, meine Schritte hätte lenken können, als ich noch mit viel Zeitgepäck hindurchschritt?
Warum konnte ich nicht wählen unter meinen Träumen, anvisieren und mit dem richtigen Griff wäre ich zu dem richtigen hingeleitet worden?

 

Konnte ich überhaupt jemals meine Träume benennen? Habe ich gewusst was ich wollte und mehr noch, gewusst was ich brauchte?
Weiß ich es heute denn überhaupt?

 

Ja, einiges ist klarer geworden, doch durch die verstrichene Zeit auch unerreichbarer.
Ein Blick nach hinten, zurück in gelebtes Leben, und ich entdecke Steppe, vertrocknete Ebenen und verdorrtes Gras, manchmal ein grünes Feld, vereinzelte Blumen, ein Beet mit dornigen Rosen und dichtem Gestrüpp, vor Früchten die meist mager waren.
Kein weicher Waldboden, keine beständigen Steine am Wegrand, keine Lichtung, keine Blumen.
Es ist Vergangenheit, in meiner Erinnerung manchmal sogar schön, manchmal auch weniger angenehm.
Es ist gelebt.

 

Heute, am Rande dieses neuntausendjährigen und von mir so geliebten Hochmoor-Dowesees wurde mir klar, dass ich wie die Libelle bin über seinem Wasserspiegel.
Ich komme, ich schwirre, ich gehe und bin vergessen. Vor mir gab es dieser Libellen viele, nach mir wird es deren viele geben.
Welch ein Trost.
Mein Flügelschlag ist meine Ewigkeit - und doch nur ein kleiner Flügelschlag innerhalb der Ewigkeit.

 

Heut schien die Sonne, die kleinen Wolkenfetzen schmeichelten dem blauen Himmel über mir, es war warm, die Blumen dufteten, das Gras war dicht und kühl unter meinen Zehen, der Duft meiner Haut erinnerte mich an Unvergänglichkeit und Liebe.
Es war ein glücklicher Tag.

Glück - an einem kleinen Frühlingstag an einem einfachen Sonntag im Mai.

 


Sommer

 

Heißer Sommer, der plötzlich auftauchte.
Wetterkartenrot.




Sommer.
Hier ist es windig. Es soll gewittern. Lokales Unwetter. 

Ich stelle mir ein weltweites Gewitter vor. Nein, lieber nicht.


Die Nacht verbringe ich vor den geöffneten Fenstern und Türen und rieche den warmen Asphalt.
So schweigsam die Straße, die Hinterhöfe. Manchmal ein kurzes Gemurmel oder ein leises Kinderwimmern. 
Und ganz weit weg, am dunklen Horizont, höre ich manchmal die Züge fahren.

Die Nacht-Hitze ist eine Decke. Sie trägt das Verstummen mit sich. 
Sie legt sich auf die Häuser und unterdrückt die Geräusche des menschlichen Handels. Fast alle.
Draußen, in den Wäldern, den Feldern - macht sie das da auch?
Ich weiß das gar nicht.

Und was tut die Tageshitze?
Die lähmt, macht mehr als träge. Und sie macht auch unruhig. 
Sie hinterlässt irgendwie wütende Hilflosigkeit, weil alles langsamer läuft in unserer hektischen Zeit.
Darf das sein? Dürfen wir das? Träge sein, faul, arbeitsunfähig?
Dürfen wir diese vielen heißen Stunden wirklich als Begründung benutzen, weniger zu tun, langsamer zu sein, noch müder als gewohnt?
Warum zwitschern die Vögel dann trotzdem genauso munter weiter? Warum sind die Wespen, Hummeln, Fliegen trotzdem unterwegs? 
Und warum klingelt der Paketbote, trotz Streik?

Auch die Kinder quengeln. Sie sind unruhig. Die Betreuer sind auch gestresst, der Lärm scheint noch lauter, die Kleinen noch fordernder.

In einem abgedunkelten Raum sitzt ein Schatten neben einer Wiege und summt ein beruhigendes Lied, monoton, einschläfernd.

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Süden.
Ich erinnere mich an viele heiße Sommer meiner Kindheit in Italien.

Die gestreiften Schatten der Klappläden auf dem Boden des Schlafzimmers.
 Der Staub, der flimmernd in der Ecke zwischen Schrank und Wand wirbelte, dort unten, wo die Hitze sich staute. 
Die Kühle des leichten Baumwolllakens auf mir.
 Meine Lider, die schwer wurden.
Der Schlaf, der ihnen anhaftete mit dem Wartesaal der Träume.


Ich erwachte irgendwann mit den leisen Frauenstimmen, die durch die geöffneten Hinterhoffenster klangen über die Zitrusbäume und Oleanderbüsche hinweg. 
 Zitronenlimonade wurde vorbereitet und die "merenda", der kleine Happen des späten Nachmittags, um die Zeit bis zur "cena", dem Nachtmahl, zu überbrücken.

Anfangs noch träge doch danach freudig,  öffnete ich meine Augen und überließ mich dem heißen Spätnachmittag.
Ich ließ mit ihm den langen Abend und die weiche Nacht anlaufen, die schönsten Stunden dieser Sommertage.


_____ 


Grollen.
Meine Vorhänge blähen sich im heißen Wind. Es wird vielleicht doch gewittern. 
Im nahegelegenen Kindergarten quengeln weiterhin die Kleinen, die immer noch nicht wissen, dass auch sie nichts tun müssen. 
Nicht einmal spielen.

Die großen Menschen quengeln auch - mit Nachbarn, Partnern, Kollegen... weil sie immer noch nicht glauben, dass sie  nichts tun sollen.

Die Gerüche werden intensiver.
Der Wind wird plötzlich kühler.
Ein Grollen.
Das diesige Blau des Himmels wird zum Grau.
Grollen. Noch weit weg.
Es wird gewittern.

Und ich? 
Was tue ich hier?
Nein, nein. Ich arbeite wirklich nichts.
Ich schreibe.
Nein, nein. Ich arbeite wirklich nichts.
Ich lebe!

 



 

 

Sommernächte

Die Welt ist so leicht. 
Ich habe mir ihre Schwere mit den Füßen aus dem Bauch getanzt.
Machte Platz für neuen Raum.
Habe mir das Alleinsein aus den Knochen gestampft.
Nun schwebe ich.

Es hat heute Nacht hier geregnet. Ganz leicht nur.
Ich habe mich und meine verschwitzte Haut diesem feinen Regen ausgesetzt.
Er rinnt mir aus meinen Haaren 
auf meine Stirn 
über mein Gesicht 
in meine Mundwinkel. 
Ich lache ihm zu und lasse ihn mit meinen Lippen verschmelzen.

Die Bluse klebt an meinem Körper. 
Der leichte weiche Wind trocknet sie sehr schnell.
Es ist immer noch warm draußen. 
Tropenhaus.

Im Hintergrund.
Weiterhin die Stampfmusik, nicht aufdringlich. Zum Teil sogar gut.
Habe die Augen zu gemacht und mich bewegt. 
Ungewollte Sinnlichkeit als Lockruf ohne Nachhall.
Ein wundervolles Gefühl, losgelöst, allein und doch so vollkommen.
Fast wie Liebe machen.
Fast.
Egal.

In der Dunkelheit des Gartens vor der Tanzscheune.
Ich trinke meine Weinschorle.
Sehe den Menschen zu, die sich langsam Richtung Nachhause bewegen. 
Ich summe:
“c’est une chanson qui nous ressemble, toi qui m’aimait, moi qui t’aimait, 
nous étions tous les deux ensemble………
mais la mer efface sur le sable, les pas des amants désunis.

Ich sitze allein auf der kleinen Bank 
und die letzten sanften Lichter
gehen eins nach dem anderen aus. 


Ein Mann wendet sich zum Ausgang.
Ich stehe auf, will auch weg.
Er bleibt stehen und dreht sich zu mir um.
Bittet mich, sitzen zu bleiben. 

Das Bild sei so schön.
Eine Frau im Schein der wenigen Lampen, 
eine Melodie summend,
das Weinglas an den Lippen,
und um sich herum die Welt vergessend. 
„Gönnen Sie mir diesen Augenblick......., bitte!“

Ich blicke hoch, wir lächeln uns an und halten die Welt an 
- einen Wimpernschlag lang.
Er wendet sich ab, geht.
Ich stehe auf, stelle das Glas hin und gehe auch.
Richtung Ausgang. 


Irgendjemand summt ein Lied, irgendwo, weit weg..........

Herbst - Wolfenbüttel, diese kleine liebliche Stadt...

Das Schloss strahlt im schönsten Herbstsonnenlicht,
die Bäume haben anziehende Farbenpracht zu bieten,
die Schleierwölkchen sind die einzige Abwechslung
im azurblauen Himmel -
eigentlich sind die Tage so wunderschön,
doch das Ganze ist schon umgeben von aufdringlicher Kälte
und dem Geruch von Vergänglichkeit....

 

Schade, die Menschen hasten morgens durch die Straßen,
mit in Mantelkragen eingezogenen Köpfen und leichtem Hauch vor dem Mund.
nein, kein rauch,
denn noch haben sie keine Handschuhe an
damit sie klamme Finger vermeiden, die ihre Zigaretten halten.

 

Autos stoßen Dampfwolken aus dem Auspuff.
So kann jeder Beobachter deutlich erkennen,
was sie uns zurücklassen,
in den Straßen, in der Atemluft.

 

Immer wieder hüpfen die Eichhörnchen über die
Wege und sammeln ihre Vorräte.
Mit Sonnenbrille und Ohrenschützer
sind die letzten Cabriofahrer unterwegs
in der wärmenden Mittagssonne.

 

Ein aufgebäumtes Verweigern gegenüber der Zeit,
drängt manchen Spaziergänger dazu,
seine Jacke über die Schulter zu hängen
und lachend durch die bunten Blätter
auf dem Rasen neben dem Lessinghaus zu scharren.
Die schräge Sonne spiegelt sich in den Fensterscheiben der Bibliothek
in einer prachtvoll-goldenen Farbe, die keiner malen kann.

 

Ob bald der Raureif das rote Dach des Zeughauses bedeckt?
Ob weiße Wege vor der Akademie zur Vorsicht mahnen,
wenn sie mit der ersten feinen Schneeschicht prahlen?
Ob die letzten bunten Blätter bald von der Stadtreinigung aufgesammelt,
im Becken der Kompostanlagen modern?
Ob dann die nackten dunklen Bäume sich wieder ihrer selbst schämen
und doch geduldig des Frühlings harren, der doch noch so weit scheint?

Ob die Menschen sich bald wieder in die Häuser flüchten,
vor Öfen hocken und Tee trinken,
an gestern denken,
von früher singen,
auf morgen hoffen
und heute vergessen?

 

Es ist längst Herbst.

 


Herbst - Herbstgemälde

Verbranntes Laub weht dichte neblige Schwaden über den kleinen malerischen Winzerort.
Sie verbinden sich zum Geruch der Vergangenheit.

Kindheitserinnerungen – versengte Kartoffeln über heimlichen Lagerfeuern, raschelndes Kastanienlaub unter hüpfenden Füßen.

Verblasste Bläue eines Himmels, aus dem die Sonne eine Wärme verbreitet, die noch die Sprache des Sommers spricht.
An den zu unzähligen Scheiteln gekämmten Hängen, verraten die Reben verschämt den lauernden Herbst.
Die Kronen der Bäume, schon lichter und mit Blättern gelb und braun, künden von kommenden kurzen Tagen.

Die Wiesen, noch grün und saftig,
die Äpfel, längst bunt und reif,
vertrocknende Trauben vereinzelt unter Weinlaub versteckt.

Die dünnen Strahlen der diesigen Sonne wärmen noch leicht den Wanderer auf seiner Bank inmitten der Rebhänge.
Bewusst genießt er die Augenblicke der Täuschung,
denkt nicht an kommende graue Tage,
an kalte Nächte,
an Morgenfrost.
Weit entfernt scheint ihm das Weiß des Winters.

Die Kirchenglocken locken ihn den Berg hinunter in den Ort, zur Einkehr, zu seinem Glas Wein.
Nur der Geruch des verbrannten Laubes lässt in ihm die Wehmut des schwindenden Sommers aufsteigen.

Festhalten,
die Augenblicke der Ruhe, den Genuss der Wärme,
die Freude an leben, am Leben -
bewusstes Da-sein.

Loslassen, weitergehen, jeden Augenblick.
Und jeder Augenblick zum Verweilen schön.