Bangkok - de nouveau

 

 

Der Flug ist lang. Mir ist als würde das Flugzeug sich durch den Himmel drücken, quälend und allein. 

Er ist auch sehr unruhig, der Flug.  Das Flugzeug ruckelt wie ein alter Bus auf Schotterstraßen.
Wir werden bald in der Stadt der Engel landen.

 

 

Das außergewöhnliche Bild dieser Stadt schaffen die Menschen, und nur sie. Inmitten von Beton, breiten Straßen mit unaufhaltsamen Verkehr Tag und Nacht, gibt es überall Grün, Bäume, Blumen, Gestecke, Blühendes. Sogar an den Pfeilern der Hochstraßen hängen Körbe mit Orchideen oder Grünpflanzen, liebevoll gepflegt von den Menschen, die dort mit ihren kleinen Bauchläden, den Garküchen oder Marktständen täglich an der gleichen Stelle ihr Überleben organisieren.

Das Alltagsleben spielt sich auf den Bürgersteigen und unter den vielen Brücken ab. Am Rande der vielen Schnellstraßen wird  von Tellern gegessen, auf kleinen Tischen, Hockern oder auf dem Schoß und das neben dem Dunst der Gartöpfe oder dem aus Blechtöpfen sprudelndem Frittierfett. Da liegen Fisch und Hähnchenflügel aneinandergereiht neben Gemüse, Gewürzen und frischen Kräutern, kleine Wachtel-Spiegeleier liegen, eben gebraten, auf gekochtem Reis. Meist wird der in der Nacht gefangene Fisch wird in die frisch zubereiteten Suppen gelegt und mitgegart.  Knoblauchduft vermischt sich mit dem von unbekannten Kräutern und Gewürzen.  Auf dicken Eisbrocken geschälte Kokosnüsse werden erst beim Kauf mit einer Art Hackmesser halbiert. Ihre herb-süße Milch kühlt Mund und Rachen.
Genauso oft trifft man auf Handwagen mit frischem Obst. Es sind meist Papaya, grüne und gelbe Mango, Melonen, Guaven. Beim Kauf wird das Obst geschält, geteilt, in ein Plastiktütchen verpackt, ein Holzstäbchen zum aufpicken dazu und nicht zu vergessen: den gepfefferten Zucker. Eine Delikatesse an der ich nie vorbeikam Die grünen Mangos aßen sich wie frische Äpfel; fest und süß.

 

An den vielen Ampeln starten im Pulk die Taxi-Motorräder mit krachendem, abgesägtem Auspuff und zwischen großen abgedunkelten Luxuskarossen, schweren Geländewagen, uralten klapprigen und schwerbeladenen LKWs, grellbunten Taxis, drängeln sich die TukTuks, die genauso von Einheimischen wie von Touristen benutzt werden. Neben den Motorrädern sind sie es, die immer noch am schnellsten das Verkehrsgewusel dieser Stadt durchdringen. Mit den Unmengen von Fußgängern zwängen sich bei Grün auch die Karrenträger über die breiten Straßen und durch den Verkehr, der sich nur ansatzweise von Ampeln regeln lässt. Jeder sucht sich seinen Weg auf seine eigene Weise.

Die U-Bahn ist teuer und noch mehr der Sky-Train; sie werden nur von den gutverdienenden Menschen und wohlhabenden Touristen benutzt.

 

 

Ich stehe an einer dieser riesigen Kreuzungen und erkenne nicht, wer fahren und wer gehen darf. Ich schaue den Leuten zu, die einfach losrennen, sehe die Autos und Busse bremsen, die TukTuks um sie herumkurven und plötzlich ist alles ruhig.

Nein, nicht draußen außerhalb von mir - da lärmt es weiter.

Tief in mir kommt die Ruhe, das tiefe "in-mich-Hineinfallen".

 

  

Drüben auf der anderen Straßenseite liegt der große Lumpini-Park, dort will ich hin. Ein schönes, weitflächiges, grünes Areal mit Seen und Tempeln und dem Pavillon in dem junge Schülerinnen die alten thailändischen Tänze üben und mit ihren hohen aber lieblichen Stimmen die traditionellen Gesänge erklingen lassen. Etwas weiter entfernt bewundere ich die Tai-Chi Adepten. Sie bringen mit ihren stillen Bewegungen, leicht und frei die Luft zum Vibrieren.

 

Am Rande des Sees döst ein Waran. Während ich das Tier betrachtete, warnt mich ein am Ufer stehender alter Mann davor, zu lange stillzustehen, ansonsten glaube der Waran ich sei ein Baum und dann würde das Tier an mir hochklettern wollen. Das täte ohne Zweifel sehr weh, fügt der Mann mit den großen lustigen Augen hinzu, denn dank ihrer langen Krallen könnten die Warane sich an den Baumrinden festhalten und sie versuchten das wohl auch bei mir. Sofort tröste er mich mit der Bemerkung, die Warane täten das aber nur, wenn sie sich unbeobachtet fühlen.
Ob das alles stimmt weiß ich nicht, doch vorsichtshalber gehe ich lieber weiter. Ich schaue auch nicht zurück… 

 

 

 

Die Schwäne dahinten, die auf dem See umher gleiten, sind sehr groß und fesseln meinen Blick. Bei näherem Hinsehen merke ich: die romanischen Tiere sind aus Plastik und in ihrem Innern sitzen vier Menschen.
Es sind Tretboote, als Schwäne getarnt. Ehrlich gesagt sieht es schön aus, wenn statt abgewetzter Wasserfahrzeuge diese stolzen Vögel, wenn auch aus Kunststoff, übers Wasser gleiten.

Der große Lumpini-Park, eine der grünen Lungen dieser alten und zugleich modernen und verrückten Stadt, ist  eingerahmt von vielen großen Straßen und umringt von Hochhäusern und Wolkenkratzern. Doch Wolken zum Kratzen es hier wenige. Der Himmel ist oft bedeckt in dieser Jahreszeit. Meist scheint es, als würde sich die Sonne vergeblich hinter der riesigen Dunstdecke über der Stadt ihre Nase plattdrücken.

 

 

Die alten traditionellen Thai-Häuser der ehemals wohlhabenden Familien sind fast alle verschwunden. Nur am Rande Bangkoks sieht man noch wenige schöne Straßenzüge, dort wohin sich die Wolkenkratzer bislang nicht verirrten.
Inmitten der Stadt und gegenüber vom muslimischen Viertel, stehen noch einige dieser alten Thai-Häuser direkt an einem Kanal, der zugleich als eine der vielen Wasserstraßen Bangkoks gedacht ist. Diese Wasseradern werden weit weniger benutzt als das früher üblich war und doch sind sie stark befahren.
 

Unten am Kanal, wie auch in Chinatown, erscheinen die erbärmlichsten Behausungen dieser Stadt. Sind die wirklich bewohnt? schießt es mir durch den Kopf und im gleichen Augenblick sehe ich Wäsche an Leinen über dem Wasser hängen und rieche die Küchendüfte aus den Öffnungen der Wellblech- und Holzhütten.

 

Hinter mir, weiter entfernt, ruft ein Muezzin zum Mittagsgebet.

 

Ich gehe Richtung Thai-Häuser, setze mich an den Rand des grünen Teiches mit den vielen Kois. Es ist ruhig, nur wenige Leute halten sich hier auf. Nebenan ist ein Museum für in Handarbeit hergestellte Seidenprodukte. Auch die traditionellen Häuser sind Teil von diesem Museumskomplex. Es gibt sonst fast keine dieser wunderschönen Thai-Häuser mehr in der Stadt.

Der Reiz des Westens verdrängt die Traditionen des Ostens. Warum?

Wer es sich leisten kann will westlich scheinen und nimmt dafür alles an, was Europa und USA bieten. Nur die Armut hält die Meisten auf. Doch mit armen Menschen geben wir Westler uns nicht gerne ab. Denn das hieße hinblicken, wahrnehmen und zu geben ohne nehmen zu wollen.

 

Manchmal schäme ich mich dafür, zu denen zu gehören, die meist weitergehen.  Zumindest  bin ich kein Wirtschaftskonzern, der die Menschen ausnutzen will tröste ich mich halbherzig.  
Aber das wissen die Armen nicht, die sehen zurecht nur die Europäerin. 
Und doch sind die Menschen alle freundlich, offenherzig, hilfsbereit  und entgegenkommend.  Die liebenswerte Freundlichkeit der Thais macht es leicht sich frei zu fühlen und zu bewegen.

 

 

 

Die Sonne hat es doch noch geschafft, sich durch den Dunst durchzudrücken.  Ihre Strahlen sind wie kleine gelbe Farbtupfer im dichten Grün der Bäume um den Teich herum. Dieses unbeschreibliche Grün und dazwischen die fröhlichen Farben der Blüten und Blumen erfreuen die Augen und erleichtern das Herz.

 

 

Leise Klänge einheimischer Tempelmusik erklingen von weitem. Nachher werde ich noch zu Buddha gehen, einem der vielen Tausenden Statuen, die überall hier zu finden sind. Mal sind sie vergoldet, mal aus Stein oder Gips, aus Jade oder Holz....

Ich bewundere sie, zünde Räucherstäbchen an und verweile, in den Augenblick versunken, vor dem Altar.

 

Alle Buddha-Statuen sehen friedlich aus und laden den Menschen dazu ein, auch Frieden zu leben.

Die Gläubigen knien betend vor der jeweiligen Statue, legen ihr ihre Gaben zu Füßen, zünden die großen gelben Räucherstäbchen und kleine Kerzen an, werfen Geldmünzen in die Opferschalen und gehen ruhig und lächelnd weiter.

 

 

An einer der stark befahrenen Straßen wurde gerade ein vielstöckiges Luxushotel eröffnet. Ich beobachte eine für mich unverständliche Zeremonie vor dem kleinen farbigen Gebetshaus nebenan.

Den westlichen Neugierigen erklärte eine Passantin den Grund für das Gebetshaus:

- Wenn ein neues Haus gebaut wird, dann stört man die Erd-Geister, die dort im Boden seit Ewigkeiten wohnten. Und um sie zu besänftigen, muss man ihnen ein neues Haus bauen, auf Stelzen und unter keinen Umständen im Schatten des neugebauten Hauses.

Man muss ihnen täglich frisches Essen und Getränke bringen und das Ganze mit Blumen schmücken, damit sie sich wohlfühlen und das neue Haus daneben schützen und nicht verfluchen. -

 

Ein anderer Brauch ist der, dass man die Türschwellen höher legt als den Fußboden, damit die bösen Geister nicht in den Raum eindringen. Diese Eindringlinge haben nämlich keine Beine und können daher die Hürde nicht überwinden.

Wir Pragmatiker im nüchternen Europa würden den Grund wohl eher in der Abwehr von unerwünschtem Ungeziefer sehen.....

 

Der Glaube und die Verehrung ihrer vielen Geister machen es den Thais nicht unbedingt leicht frei zu leben, so scheint es mir.

Dieser für uns wohl eher Aberglaube lehrt hingegen den Respekt vor den Grenzen der Anderen, egal wer das ist, und sei es nur, um sich selbst zu schützen.

Insbesondere im achtsamen Miteinander ist das Leben für alle erträglich.

 


Mein Aufenthalt dort liegt nun hinter mir und wie jedes Mal auch noch lange Zeit ein Stück in mir. Bangkok ist eine unbegreifliche Stadt. Hektisch, ruhig, sanft, abstoßend, stinkend, blühend, laut, unbegreiflich, faszinierend – alles. 


- Unterbrechung -

 

Amsterdam.
Eine Lounge im Flughafen. Dazu auch Lounge-Musik.
Wo war ich vorhin noch?
In welcher Welt?
In einer anderen Welt, ohne Zweifel.
Oh ja, diese fremde Welt hat viele Lichter tief in mir hinterlassen, die weit erhellender sind als die in der elektrischen und so grellen Helligkeit hier.
Ich werde später nach den anderen suchen. Die sind tief in mir, bleiben unauslöschlich und immer wieder abrufbar, wenn ich es verstehe, das zuzulassen und hinzunehmen, was sie mich lehren.

Jetzt aber suche ich einen 'macchiato', den Espresso mit einer kleinen Haube aus Milchschaum. Es wird ihr vielleicht geben, hier in diesem internationalen Flughafengewusel.
Zwölf Stunden in einem Flugzeugbauch festgehalten - da hilft nur ein bisschen heimatlicher Duft und sein Geschmack auf der Zunge.


Die Reise ist fast zu Ende. Das Jahr auch.

Spuren bleiben, unausweichlich. Manche prägend, manche im Hintergrund.

Welche, das wird die Zukunft zeigen.

 

Nächstes Jahr.

 

 Dezember 2011